Deutscher Gehörlosen-Bund e.V.
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Die Dokumentation zur Fachtagung „Cochlea Implantat – Realitäten ohne Zwang“ ist erschienen!

04. Juni 2020

Am 28.11.2018 fand die vom Deutschen Gehörlosen-Bund e. V. organisierte Fachtagung „Cochlea Implantat – Realitäten ohne Zwang“ in Berlin statt. Nun steht die Dokumentation der Fachtagung zur Verfügung. Wir freuen uns sehr, dass die interessanten Vorträge und Beiträge dieser Tagung nun der gesamten (Fach-)Öffentlichkeit und allen Interessierten zugänglich sind! Die Dokumentation (PDF; 5,2 MB; komprimiert) steht als Download auf unserer Webseite zur Verfügung, die Druckversion können Sie ebenfalls dort (bei Übernahme der Portokosten) bestellen.

Die Dokumentation formuliert eine eindeutige Antwort: Gegen CI-Zwang und für eine bimodal-bilinguale Förderung mit Gebärdensprache zum Wohle aller Kinder mit Hörbehinderung!

Auch im „Fall Goslar“, der ein Anlass für die Fachtagung war, gab es eine Entscheidung: Im Beschluss vom 29. Januar 2019 hat das Amtsgericht Goslar von familienrechtlichen Maßnahmen gegen hörbehinderte Eltern abgesehen, die ihr gehörloses Kind keiner Cochlea-Implantation unterziehen wollen. Das Amtsgericht sah keine ausreichenden Gründe, um eine Zwangsimplantation eines CIs richterlich anzuordnen, da das Kindeswohl nicht gefährdet sei. Ein „Zwang zum Hören“ sei mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar.

Die Pressemitteilung 04/2020 in pdf-Datei können Sie herunterladen und gerne weiterleiten.


Beschluss "CI-Zwang-Fall" aus dem Amtsgericht Goslar

01. Februar 2019

Große Erleichterung herrscht über den Beschluss „CI-Zwang-Fall“ aus dem Amtsgericht Goslar:

Von familienrechtlichen Maßnahmen nach den §§ 1666,6 1666a BGB wird abgesehen!
Kein CI-Zwang!
Keine Kindeswohlgefährdung!

Es war ein gemeinsamer Erfolg für den Elternwillen!

Monatelang verfolgte die Gehörlosen- bzw. Gebärdensprachgemeinschaft den konkreten Fall einer möglichen „CI-Zwangs-Implantation“ in Niedersachsen.

Dank der Unterstützung von Karin Kestner, die trotz ihrer schweren Erkrankung den Eltern sehr beigestanden hat, gelang es, sich gegen eine mögliche CI-Zwangsimplantation zur Wehr zu setzen.

Der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V., andere Verbände und Personen haben viele Stellungnahmen zu diesem Fall abgegeben. Den Beschluss des Amtsgerichtes hält der DGB für wegweisend für Eltern, denen nach einer BERA-Untersuchung eine CI-Implantation für ihr Kind nahegelegt wird und die sich trotz ausführlicher Beratung gegen eine CI-Implantation entscheiden. Nach den ausführlichen Ermittlungen des Familiengerichts bestehen keine ausreichenden Gründe, um eine Zwangsimplantation eines CIs richterlich anzuordnen. Mit der Entscheidung der Eltern gegen eine CI-Implantation liegt keine Kindeswohlgefährdung vor.

Wir gratulieren den Eltern zum richterlichen Beschluss und drücken unsere Hochachtung für Karin Kestners Engagement aus.

Wie Karin Kestner hoffen wir, dass es keinen neuen weiteren Fall dieser Art vor Gericht geben wird.

Veröffentlichter Beschluss des Amtsgerichts Goslar (Link hier)
Pressemitteilung von Karin Kestner (Link hier)
DGZ-Artikel "Urteil im CI-Zwang-Fall: Keine Kindswohlgefährdung" (Link hier)


Klare Antwort und Bestätigung der Fachtagung „Cochlea Implantat – Realitäten ohne Zwang“: Gegen CI-Zwang und für eine bimodal-bilinguale Förderung mit Gebärdensprache zum Wohle aller Kinder mit Hörbehinderung!

04. Dezember 2018

Bei der Fachtagung „Cochlea Implantat – Realitäten ohne Zwang“ am 28. November 2018 im Bundesministerium für Arbeit und Soziales begrüßte Vanessa Ahuja, die Abteilungsleiterin V der Abteilung für Belange behinderter Menschen, Prävention und Rehabilitation, Soziale Entschädigung und Sozialhilfe, über 110 Teilnehmer/-innen und betonte die große Bedeutung des Themas, nicht zuletzt aufgrund des aktuellen Falles in Goslar, aber auch aufgrund allgemeiner Tendenzen in der heutigen Gesellschaft. In Goslar verhandelt derzeit das Familiengericht die Klage des Klinikums Braunschweig gegen die Eltern eines gehörlosen Kindes, die sich gegen eine empfohlene CI-Operation bei ihrem Kind entschieden haben.

Unser Schirmherr, Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, betonte in seinem Grußwort, wie wichtig der Dialog untereinander sei, um sich dem Thema der Fachtagung adäquat zu nähern. Es müsse sensibel ein Weg gefunden werden, um das Wohl des Kindes und das Recht der Eltern zur Erziehung gleichermaßen zu berücksichtigen. Zum aktuellen Fall in Goslar betont Herr Dusel jedoch: „Mein Herz schlägt in diesem Fall für die Eltern“.

Prof. Dr. Ulrich Hase fragte in seinem Grußwort: „Gibt es eigentlich eine Pflicht zum Hören?“ Ebenso stellte er die Frage in den Raum, ob das medizinisch Machbare immer das Richtige, das Entscheidende ist. „Die einhellige Meinung in unseren Verbänden ist: Wir sind absolut gegen jeden Zwang!", so Prof. Hase. Aber er betonte auch, dass ein Nebeneinander von CI und Gebärdensprache vernünftig umgesetzt werden sollte, zum Wohle aller hörbehinderten Kinder.

Zum Abschluss hielt Helmut Vogel, Präsident des Deutschen Gehörlosenbundes, sein Grußwort und betonte die Wichtigkeit des Themas Bilingualität, das Leben sowohl mit Deutscher Gebärdensprache als auch mit deutscher Sprache, für den DGB. „Der Elternwille ist ein hohes Gut und sollte es auch bleiben", so Vogel. „Wenn Eltern, ob hörend oder gehörlos, sich gegen ein CI für ihr Kind entscheiden, muss dies akzeptiert werden. Es darf kein Zwang ausgeübt werden.“

Die nun folgende Podiumsdiskussion leitete Dr. Ulrike Gotthardt vom Präsidium des DGB. Teilnehmende der Diskussion waren Tanja Wolters mit ihrer Tochter Isea, Nadine von Deetzen mit Tochter Jette, Tina Ehmann und Julia Probst. „Isea sollte in die Gesellschaft inkludiert werden", so schilderte Tanja Wolters den Grund für die Entscheidung für das CI bei ihrer Tochter. Leider gab es Komplikationen und das CI wurde wieder entfernt. Für die Familie ist nun die gebärdensprachliche Kommunikation „unser Weg". Tochter Jette ist aufgrund des Eigenengagements der Mutter Nadine von Deetzen mit Lautsprache und Gebärdensprache aufgewachsen, parallel zur CI-Implantation gab es einen Hausgebärdensprachkurs. Jette sagt heute selbst: „Ich habe so das Gefühl, ohne Gebärden würde ich eigentlich gar nicht richtig leben." Bei Tina Ehmann ebenso wie bei Julia Probst begann mit der CI-Implantation eher ein „Auf und Ab" der Annahme und Ablehnung des CIs, weil das „Hören-Lernen" mit CI als ein anstrengender Prozess erlebt wurde.

Dr. Ulrike Gotthardt betonte in ihrem anschließenden Vortrag, dass es bisher kaum Erhebungen zu den Langzeitentwicklungen (körperlich, psychosozial, etc.) bei erwachsenen CI-Trägern gibt. Eine vom DGB durchgeführte Umfrage, bei der 622 Beteiligte mit Hörschädigung in der Auswertung berücksichtigt werden konnten, deckte auf, dass etwa 50 % der CI-Träger sehr zufrieden sind mit dem Verstehen von Lautsprache. Aber auch, dass 50 % von ihnen Mühe oder zum Teil große Schwierigkeiten haben, die Lautsprache gut zu verstehen.

Prof. Dr. Christian Rathmann betonte, dass Studien belegt haben, dass sich die Sprachentwicklung bei tauben Kindern mit tauben Eltern sich qualitativ nicht von der Sprachentwicklung hörender Kinder mit hörenden Eltern unterscheidet (kognitiv, emotional, psychosozial). Diese Entwicklung sei nur dann gefährdet, wenn sprachliche Deprivation (Entzug) stattfinde, und nicht, wenn auditive Deprivation stattfinde. Ebenso würden Studien belegen, dass der Erwerb von Gebärdensprache den Lautspracherwerb nicht behindere, sondern diesen sogar eher noch fördere.

Prof. Dr. Claudia Becker stellte zu Beginn ihres Vortrages fest, dass die Schülerschaft mit Hörbehinderung in den Schulen so heterogen ist, dass es niemals nur einen Weg gibt bzw. geben darf, wie man sie bestmöglich fördern kann. Es sei für alle Kinder ein Gewinn, mit mehreren Sprachen aufzuwachsen. Frau Becker plädierte für eine bimodal-bilinguale Förderung für alle Kinder mit Hörbehinderung, ob nun mit CI oder ohne CI. Studien belegen, dass man nicht vorhersagen kann, wie sich die Kinder in ihrer Sprachbiographie entwickeln. Wichtige Bausteine für eine bimodale-bilinguale Bildung sind u. a. eine Förderung von Anfang an (bereits in der Frühförderung), das Fach DGS in der Schule, selber hörbehinderte Lehrer/-innen, wie auch das gemeinsame Lernen von hörenden und hörbehinderten Kindern. Dafür braucht es die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen ebenso wie umfassende Qualifizierungsangebote für die hörbehinderten und hörenden PädagogInnen, um eine hochwertige bimodal-bilinguale Förderung von der Frühförderung bis zur Berufsschule anbieten zu können.

Dr. Katrin Bentele betonte in ihrem Vortrag, dass man bei der Entscheidung für oder gegen ein CI u. a. die Fragen stellen sollte: „Wie kann der betroffene Mensch am meisten Autonomie erlangen? Welche Ziele sollen mit dem CI erreicht werden? Sind diese Ziele erreichbar? Sind die gewählten Mittel den Zielen angemessen?" Das alles seien Fragen, die in diesem Zusammenhang wichtig sind. Abschließend betonte Frau Dr. Bentele, dass jede Diskussion des Einzelfalls auch wieder in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs münden sollte: „Nicht alle Menschen kennen z. B. die Gehörlosenkultur, da muss noch viel Wissen über unterschiedliche Lebensentwürfe transportiert werden.“

In der Diskussion und bei den Fragen aus dem Publikum im Anschluss an die Vorträge vom Vormittag wurde u. a. angemerkt, dass die Bedeutung der CI-Beratungsstellen noch einmal besonders hervorgehoben werden muss. Diese müssten flächendeckend, offen und interdisziplinär beraten. Ebenso wurde diskutiert, inwieweit man als Eltern die Entscheidung für oder gegen ein CI dem Kind überlassen kann - da wurde angemerkt, dass dies schwierig sei, mit 14, 15 Jahren sei eine Entscheidung für ein CI bezogen auf die Sprachentwicklung nicht optimal. Ein weiterer Diskussionsbeitrag aus dem Publikum führte zu der Frage, ob man - neben dem hier bereits eingeforderten Recht auf Gebärdensprache - auch ein „Recht auf Hören" habe. Wichtig sei, dass es keine Diskussion um ein „Entweder - oder" zwischen dem „Recht auf Hören" und dem „Recht auf Gebärdensprache" gebe, so eine Äußerung auf dem Podium.

Nach der Mittagspause begann Prof. Dr. Gisela Szagun ihren Vortrag. „Bei hörbeeinträchtigten Kindern mit CI ist Zweisprachigkeit mit gebärdeter und gesprochener Sprache der sicherste Weg in die Sprache. Es darf kein Kind ohne Sprache geben. Und es liegt an uns, dafür zu sorgen!“ Studien zeigen auf, dass eine CI-Implantation nicht gesichert zu einem guten Lautspracherwerb führt. Auch wenn bei einem Kind früh implantiert wird, kann ein guter Erwerb der Lautsprache nicht sicher prognostiziert werden. In anderen Ländern wie Kanada oder Großbritannien wird eine Zweisprachigkeit für Kinder mit CI schon lange erfolgreich praktiziert. Prof. Szaguns Fazit ist: „Zweisprachigkeit mit gebärdeter und gesprochener Sprache bringt keine Nachteile, im Gegenteil, nur Vorteile.“ Bei einem zu langsamen Lautspracherwerb beim Kind (bei zu wenig Fortschritten) sollte man rechtzeitig den Weg der Sprachentwicklung über die Gebärdensprache beginnen.

Anschließend sprach Frau Karin Kestner zum Thema "Elternberatung" und berichtete in ihrem Vortrag vor allem aus ihrer Elternarbeit. Sie schilderte Fällen, in denen Eltern stark unter Druck gesetzt wurden, weil sie sich gegen ein CI für ihr Kind entscheiden wollten. Diese Eltern hätten dann Sätze gehört wie: „Sie handeln verantwortungslos. Ihr Kind wird isoliert aufwachsen, wollen Sie das?" Eine gute und umfassende Beratung finde nur selten statt. Viele Eltern erhielten nach der Diagnose „Hörschädigung" beim Kind gleich eine Überweisung in ein CI-Zentrum, ohne dass auf die Situation der Familien adäquat eingegangen oder Alternativen genannt würden. Die meisten HNO-Ärzte würden ausschließlich ein CI empfehlen, wobei es durchaus Ausnahmen gäbe. Den Eltern werde oft „Angst gemacht“, dass sie ihrem Kind schaden würden, wenn sie sich nicht schnell für ein CI entscheiden. Kestner berichtete von Slowenien, wo Eltern nach der Diagnosestellung umfassend beraten werden: Neben der Aufklärung über ein CI werden sie über Geschichte und Kultur der Gehörlosen informiert und es wird ein umfangreicher Gebärdensprachkurs angeboten.

Simone Bräunlich gebärdete in ihrem Vortrag über mangelhafte Beratung und Begleitung von Eltern, die die Diagnose „Hörschädigung" bei ihrem Kind erhalten hatten; es gäbe wenig psychologische Unterstützung und wenig Informationen. Sie forderte daher u.a.: eine breite und umfassende Information, gute psychologische Begleitung, Respekt und Akzeptanz gegenüber einer Ablehnung eines CIs, genügend Zeit (1-2 Jahre) für die Entscheidung. Mediziner benötigten hier ein solides Hintergrundwissen, ebenso Jugend- und Sozialamtsmitarbeiter/-innen. Es bedürfe eines guten Netzwerks aller Institutionen und ganzheitlich arbeitender Anlaufstellen, die interdisziplinär zusammenarbeiten sollten. Für die Vortragende liegt dann Kindeswohlgefährdung vor, wenn taube Kinder ohne Gebärdensprache aufwachsen, vor allem in Fällen, wo man gar nicht sicher davon ausgehen kann, dass der Lautspracherwerb altersgemäß verläuft.

Dr. Karen Jahn ging auf verschiedene Alltagssituationen im Leben von Menschen mit Hörbehinderung ein: Auch wenn man CI-versorgt ist und unter guten Bedingungen der Lautsprache gut folgen kann, erlebt man in anderen Situationen keine entspannte Kommunikation in Lautsprache. Bezogen auf die Eltern forderte sie, dass Eltern psychologisch gut betreut werden sollen, und zwar von Anfang an. Der Diagnoseschock muss verarbeitet und das Familienleben sollte begleitet werden, damit die Eltern-Kind-Bindung, die so zentral ist, nicht negativ von der Hörschädigung beeinflusst werde. Die psychologische Begleitung bzw. Beratung der Familien dürfe nicht nach der Frühförderung beendet sein, denn auch im späteren Kindes- und Jugendalter würden viele wichtige Entwicklungs- und Identitätsprozesse stattfinden. Kinder und Jugendliche (und ihre Eltern) sollten nicht allein gelassen mit Fragen wie: „Ich bin anders, warum? Wo finde ich gute Freunde?“

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurden viele interessante Punkte eingebracht. So wurde noch einmal die Rolle der Mediziner bei der Entscheidung für oder gegen ein CI reflektiert. Schon im Studium fehle ein fundierter Wissenstransfer über Gebärdensprache. Ein Vorschlag aus dem Publikum war, eine Homepage bereitzustellen, die Eltern bei der Entscheidung für oder gegen ein CI mit fundierten, umfassenden und neutralen Informationen versorgt - so solle die einseitige Beratung durch viele Ärzte etwas ausgeglichen werden. Dem konnten viele zustimmen. Man ergänzte aber, dass es nicht nur Wissen, sondern auch Begegnungen mit solchen Menschen geben müsse, die bereits Erfahrungen mit dem Thema gemacht haben. Eine Art „Notfallkoffer" wäre eine gute Idee, lautete ein Beitrag/laut eines Beitrags: Dies wäre dann ein „Rüstzeug" mit umfassenden Informationen zur CI-Implantation ebenso wie zur Gebärdensprache und Gehörlosenkultur, mit denen die Beratungsstellen dann arbeiten können. Einigkeit herrschte auch bei der Frage, wie Eltern gut zu einer Entscheidung kommen: Indem sie genügend Zeit haben, sich diese Zeit nehmen können und dürfen, um "in ihr Herz schauen können", wie es in einem Beitrag formuliert wurde. Dies müssten alle Experten berücksichtigen.

Nun folgte die Podiumsdiskussion mit drei behindertenpolitischen Sprechern von verschiedenen Parteien (Sören Pellmann, Die Linke; Jens Beeck, FDP und Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen) sowie mit Prof. Dr. Rathmann, Prof. Dr. Szagun und Dr. Karin Bentele. Wilfried Oellers, CDU, hatte sich zuvor für seine Nichtanwesenheit entschuldigt. Eine große Enttäuschung war das Nichterscheinen von Angelika Glöckner, SPD. Sören Pellmann, Corinna Rüffer sowie Jens Beeck stimmten in der Thematik der Aussage zu, dass es zu keinem „Zwang" - in welche Richtung auch immer - kommen dürfe. Wie kann man die Qualität der Elternberatung in dieser Thematik erhöhen, wie diese sicherstellen? Wie kann sie politisch unterstützt und umgesetzt werden? Auf diese Fragen erwartete das Podium fundierte Antworten von der Politik, die jedoch wenig konkret blieben. Einigkeit herrschte auf dem Podium darüber, dass man Eltern in alle Richtungen beraten muss, und ihnen alle Angebote macht, die zur Verfügung stehen. Dafür braucht es - politisch umgesetzt- klare Richtlinien. Dazu brauche es aber, so Corinna Rüffer, zwingend eine gute Öffentlichkeitsarbeit. Öffentlichkeit und Aufklärung über die Bedeutung der Gebärdensprache und über die Gebärdensprachgemeinschaft sei so zentral, weil ohne dieses Verständnis man für eine Gesetzesänderung keine Mehrheiten im Parlament erlangen würde. Bezüglich des Falls in Goslar wurde aus dem Publikum nach einer politischen Stellungnahme gefragt. Nach Ansicht der Politiker auf dem Podium kann jedoch nicht in ein "laufendes Verfahren" eingegriffen werden. Aus dem Plenum kam dann die Frage bzw. die Bitte um Beantragung eines Forschungsauftrags zur Untersuchung der Entwicklung von Erwachsenen nach ihrer CI-Implantation im Kindesalter durch eine unabhängige, mit hörenden und gehörlosen Experten besetzte Kommission - eine der drei Forderungen des DGB zu diesem Thema. Darauf antworteten die VertreterInnen der Parteien, dass sie gerne diesen Antrag, erneut, weiterleiten würden – sie selbst würden dies in jedem Fall unterstützen. Schmerzlich vermisst wurden bei diesem Thema Vertreter/-innen der SPD sowie der CDU, denn diese hätten als Angehörige der Regierung möglicherweise viel konkretere Antworten geben können. „Was machen Sie in Ihren Parteien als behindertenpolitische Sprecher, dass die Gebärdensprache verstärkt mit in die Frühförderung und in den gesamten Bildungsbereich eingebunden wird?" fragte das Plenum. „Vermutlich noch zu wenig“, gaben die drei Bundestagsabgeordneten zu.

Abschließend bedankte sich der Präsident des DGB e. V., Helmut Vogel, bei allen Referenten, bei allen Gästen, beim Publikum und nicht zuletzt beim gesamten Team, das diese Fachtagung zu einem so wichtigen Thema so engagiert vorbereitet und durchgeführt hat.

Die Pressemitteilung 14/2018 in pdf-Datei können Sie herunterladen und gerne weiterleiten.


DGB-Film 8/2018 in Gebärdensprache und mit Untertitel über Pressemitteilung 13/2018 "Zwang zu einer CI-Operation als äußerst bedenkliche Entscheidung..."

26. November 2018


„Zwang zu einer CI-Operation als äußerst bedenkliche Entscheidungsgrundlage“ und „Förderung der bimodal-bilingualen Erziehung mit Gebärdensprache für Kinder mit Hörbehinderungen“ sind die Schwerpunkte der Fachtagung.

17. November 2018

Seit November 2017 entwickelt sich ein erster juristischer Präzedenzfall in Deutschland, wonach einem gehörlosen Kleinkind gegen den Willen seiner gehörlosen Eltern ein Cochlea-Implantat (CI) eingesetzt werden soll. Dieses Thema verfolgt der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V. bereits seit vielen Jahren mit großer Sorge, insbesondere die derzeitigen Auseinandersetzungen um die Cochlea-Implantationen.

Der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V. veranstaltet die Fachtagung „Cochlea Implantat – Realitäten ohne Zwang“ in Kooperation mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Diese Tagung findet am Mittwoch, 28. November 2018 im Kleisthaus, Mauerstraße 53, in 10117 Berlin statt. Für die Fachtagung sind Einladungen an Mitgliedsverbände des DGB, verschiedene Verbände und Einrichtungen sowie Experten verschickt worden. Zudem ist der vorhandene Raum auf maximal 90 Personen begrenzt. Deswegen können keine weiteren Anmeldungen mehr entgegengenommen werden. Allerdings wird die Fachtagung gefilmt und danach für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, übernimmt die Schirmherrschaft für die Fachtagung.

Zur Eröffnung der Fachtagung werden Vanessa Ahuja, Leiterin der Abteilung V im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Jürgen Dusel, Prof. Dr. Ulrich Hase, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft der Hörbehinderten – Selbsthilfe und Fachverbände e. V., sowie Helmut Vogel, Präsident des Deutschen Gehörlosen-Bund e. V., die Grußworte halten.

Dann werden sechs Betroffene, Tanja Wolters mit ihrer Tochter Isea, Nadine von Deetzen mit ihrer Tochter Jette, Tina Ehmann und Julia Probst über ihre Erfahrungen mit CI berichten.

Dr. Ulrike Gotthardt, Präsidiumsmitglied des Deutschen Gehörlosen-Bundes, wird den Einführungsvortrag über das Thema „CI-Versorgung aus Sicht des DGBs und Ergebnisse der Umfrage“ präsentieren. Dann wird Prof. Dr. Christian Rathmann seinen Vortrag „Kognitive, psychosoziale und sprachliche Risiken im Fall eines Sprachentzugs bei Kindern mit Hörbehinderung (‚language deprivation‘)“ halten. Danach wird Prof. Dr. Claudia Becker über „Chancen und Formen der bilingualen Sprachbildung mit Laut- und Gebärdensprache bei Kindern mit einer Hörbehinderung“ referieren. Über „Ethische Aspekte der CI-Versorgung“ wird anschließend Dr. Katrin Bentele einen Vortrag halten.

Nach der Mittagspause gibt es vier Vorträge in dieser Reihenfolge: Prof. Dr. Gisela Szagun spricht über „Zweisprachigkeit – der sicherste Weg zur Sprache: empirische Evidenz von Kindern mit CI“, Karin Kestner über „Diagnose gehörlos – was Ärzte Eltern raten“, Simone Bräunlich über „Beratungsqualität und deren Informationsmöglichkeiten für Eltern von hörbehinderten Kindern – aus erfahrungsbasierter Perspektive der betroffenen Eltern“ sowie Dr. Karen Jahn über „CI-Versorgung bei Kindern und Jugendlichen aus psychologischer Sicht – im Spannungsfeld von Individuum, Familie und Gesellschaft“.

An der anschließenden Podiumsdiskussion „Der Weg zu einem risikominimierten, gesicherteren Langzeiterfolg auf der Grundlage einer bimodal-bilingualen Erziehung mit Gebärdensprache für hörbehinderte Kinder mit und ohne CI“ nehmen die behindertenpolitischen Sprecher und Sprecherinnen Angelika Glöckner (SPD-Bundestagsfraktion), Jens Beeck (FDP-Bundestagsfraktion), Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion) und Sören Pellmann (DIE LINKE-Bundestagsfraktion) sowie Prof. Dr. Christian Rathmann, Prof. Dr. Gisela Szagun und Dr. Ulrike Gotthardt teil. In dieser Runde werden die Problematik, die Chancen und Risiken von CIs, die Wahrung der Autonomie der Eltern einschließlich der Frage nach der Kindeswohlgefährdung, die gleichberechtigte Einbeziehung der Gebärdensprache sowie betroffener Gehörloser als Experten in eigener Sache in die Vor- und Nachsorge erörtert.

Danach wird es eine Abschlussdiskussion mit dem Publikum geben. Beendet wird die Fachtagung mit einem Schlusswort des Präsidenten des DGB, Helmut Vogel.

Die Veranstaltung wird in Deutscher Gebärdensprache und in gesprochener und geschriebener Sprache abgehalten, dem entsprechend wird von sechs Dolmetscherinnen übersetzt.

Der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V. stellt in Bezug auf CI die Forderungen nach

  • einer verpflichtenden Festschreibung von Angeboten zum Erlernen der Gebärdensprache sowie zur Beratung und Begleitung durch gehörlose gebärdensprachkompetente Erwach-sene mit Gebärdensprachkompetenz im Rahmen der Implantationsvorsorge und -nachsorge für die CI-Zentren und Reha-Einrichtungen,
  • der Unterstützung für gehörlose Eltern, die in der Ausübung des Sorgerechts über die Implantation und über die weitere Behandlung selbst bestimmen dürfen,
  • der öffentlichen Ausschreibung eines Forschungsauftrags zur Untersuchung der physisch-kognitiven, psychischen und psychosozialen Entwicklung von nach Schule und Ausbildung im Berufs- und Familienleben stehenden erwachsenen CI-Träger/-innen, denen das CI im Kindesalter implantiert wurde. Dieser Forschungsauftrag sollte durch eine unabhängige, im gleichen Verhältnis mit hörenden und gehörlosen Experten besetzte Kommission an eine unabhängige und neutrale Universität bzw. Forschungseinrichtung vergeben werden und im weiteren Verlauf von dieser Kommission kontrolliert werden.

Unser besonderer Dank gilt bereits jetzt dem „AOK-Bundesverband GbR“ und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, mit deren freundlicher Unterstützung wir diese Fachtagung realisieren können.

Das Programm der Fachtagung (Änderungen vorbehalten), die Stellungnahme 2/2017 „Zur aktuellen Diskussion bezüglich des Versuchs, gegen den Willen der gehörlosen Eltern gerichtlich durchzusetzen, einem gehörlosen Kind ein Cochlea-Implantat einzusetzen“ und die Pressemitteilung 1/2018 „Der CI-Zwang für gehörlose Kinder ist nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar. – Unsere Aktivitäten bezüglich der aktuellen Situation um das Cochlea-Implantat“ sind im Anhang beigefügt.

Die Pressemitteilung 13/2018 in pdf-Datei können Sie herunterladen und gerne weiterleiten.


Der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V. ruft Gehörlosen und anderen Menschen mit Hörbehinderungen auf, bei der neuen Online-Umfrage zum Thema „Cochlea Implantat“ mitzumachen.

05. September 2018

Der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V. hat einen Fragebogen mit 27 Fragen entwickelt und hat heute die Online-Umfrage für den Zeitraum vom 05.09.-05.10.2018 gestartet.

Mit der Online-Umfrage könnte der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V. herausfinden, wie die Lebenssituation bzw. Entwicklung von Gehörlosen mit CI gestaltet, wie es mit dem Spracherwerb und der physisch-kognitiven, psychischen und psychosozialen Entwicklung der CI-Kinder aussieht, wie hoch die Erfolgsquote ist und vieles mehr.

Die Ergebnisse der Online-Umfrage werden dann bei der Fachtagung zum Thema „CI – Realitäten ohne Zwang“ am 28.11.2018 in Berlin vorgestellt und in der Dokumentation im Jahr 2019 veröffentlichtet.

Daher bittet der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V. Gehörlosen und anderen Menschen mit Hörbehinderungen, diese Online-Umfrage auszufüllen bzw. sich daran zu beteiligen, und bedankt sich für die Unterstützung. Die Teilnahme an der Online-Umfrage ist freiwillig und anonym.

Hier geht es zu den Links für die Online-Umfrage


Der CI-Zwang für gehörlose Kinder ist nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar. – Unsere Aktivitäten bezüglich der aktuellen Situation um das Cochlea-Implantat

27. März 2018

Wir möchten Sie zunächst darüber informieren, dass wir die zahlreichen Beiträge, Einreichungen und E-Mails erhalten und zur Kenntnis genommen haben. Den Prozess in Goslar sowie alle Neuigkeiten, z.B. einen weiteren Prozess in Trier, wo der Kostenträger statt eine Assistenz für gehörlose Kindergartenkinder zu bezahlen nun über eine Forderung zur CI-Implantation für die Kinder nachdenkt, verfolgen wir weiterhin mit Interesse und Nachdruck.

Wir haben mit dem EUD und dem WFD Kontakt aufgenommen und sie über die aktuelle Situation informiert. Von beiden Verbänden haben wir Antwort erhalten und sie haben uns jeweils ihre Positionspapiere bzw. ihre Pressemitteilung zukommen lassen, die wir anschließend auf Deutsch übersetzt haben. Außerdem haben wir zahlreiche Stellungnahmen und Artikel von diversen Persönlichkeiten und Verbänden/Institutionen erhalten und gesammelt. Im Anhang finden Sie die Übersetzungen und Sammlung dieser Stellungnahmen und Artikel.

Im Herbst 2018 plant der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V. eine Fachtagung zum Thema „Cochlea Implantat (CI) – Realitäten ohne Zwang“ im Bereich Gesundheit. Dabei ist es unser Ziel, auch die Aspekte zu beleuchten, die bei überwiegend positiver Betrachtung untergehen. Derzeit läuft die Organisation für die Tagung an und es werden u.a. noch Kooperationspartner gesucht.

Die Stern-Medizinreporterin und Ärztin, Dr. Anika Geisler, hat die betroffene Familie in Goslar besucht und dazu einen sehr guten Artikel mit der Überschrift „Hören oder nicht hören“ verfasst. Daraus folgendes Zitat:

Mitte September 2017 trifft bei ihr ein Brief des HNO-Chefarztes Andreas Gerstner ein: Er fordert sie dringend zu einem weiteren Gespräch über die CI-Versorgung auf, in dem er über die Behandlungsmethode aufklären will. „Das Ergebnis dieser Abklärung ist mit großer Wahrscheinlichkeit, dass die Hörstörung durch ein Cochlea-Implantat geheilt werden kann“, heißt es in dem Brief. Und: Als Garant für das Wohl des Kindes stehe der Arzt „ihm gegenüber nämlich in der Pflicht, die Schritte einzuleiten, die geboten sind, um potenziell irreparable Schäden von ihm abzuwenden. Falls Sie als seine Eltern diese ablehnen, dann muss ich hierzu eine Entscheidung des Familiengerichts anregen.“

Mit dieser stark unter Fachleuten und der gut hörenden Bevölkerung verbreiteten Meinung stimmen wir aufgrund unserer eigenen Erfahrungen und der Erfahrungen von Experten, die mit Gehörlosen arbeiten, absolut nicht überein.

Ein Cochlea-Implantat ist keine Garantie für das Kindeswohl. Für das Kindeswohl ist jedoch eine effektive frühe Eltern-Kind-Interaktion und die möglichst umfassende kognitive, sprachliche, psychische und psychosoziale Entwicklung unablässig. Das Cochlea-Implantat ist kein Super-Hörgerät, welches dies garantiert.

Bei einer CI-Operation handelt es sich nicht um eine lebensnotwendige Operation. Es gibt mögliche Risiken und Nebenwirkungen, z.B. Gleichgewichtsstörungen, Lähmung des Gesichtsnervs, Verlust des Geschmacksinns, Tinnitus, Schwindel, Kopfschmerzen, etc. Auch eine Implantation ohne Komplikationen führt nicht zwangsläufig zum gewünschten Erfolg.

Das Hauptziel der normal hörenden Eltern, dass ihr Kind einen normalen Lautspracherwerb erfährt, die Regelschule besucht und damit möglichst „nicht behindert“ in die hörende Gesellschaft inkludiert werden kann, wird in vielen Fällen nicht erreicht. Nicht alle CI-versorgten Kinder erreichen eine Hör- und Lautsprachkompetenz, mit der sie langfristig auf der Regelschule verbleiben und dort einen Abschluss machen können. Viele Kinder wechseln früher oder später auf Schulen für Hörbehinderte bzw. Förderschulen für Hören und Kommunikation, wo sie trotz der nach der Implantation bestehenden Höreinschränkungen angemessener gefördert werden können. Ein Cochlea-Implantat verwandelt gehörlose Kinder nicht in hörende Kinder, sondern in schwerhörige Kinder.

Da die Lebensdauer eines CIs nur selten langfristig ist, muss im Leben vieler CI-Versorgten das Implantat erneuert werden. Dieser muss mit dem Hörtraining damit wieder von vorne anfangen und an regelmäßiger und zeitintensiver Nachsorge (Hör- und Sprachtherapie bzw. -training) teilnehmen. Die CI-versorgte Person bleibt damit öfters langfristig abhängiger, vom medizinischen System, u.a. Ärzten und Logopäden. Diese Person muss daher viel Zeit ihrer wertvollen Kindheit, ihrer Freizeit und der Zeit mit ihrer Familie für einen z.T. fraglichen Hörerfolg opfern.

Dass CI-Implantierte schwerhörig bleiben, kann im Alltagsleben unterschiedliche praktische Auswirkungen haben. Viele Betroffene können sich beim Telefonieren nur mit ihnen bekannten Menschen unterhalten, aber nicht mit unbekannten Menschen, an deren Stimmen sie nicht gewöhnt sind. Trotz CI sind oftmals Hören und Verstehen mit großen Anstrengungen und einer hohen Quote an Missverständnissen einschließlich eines erhöhten Stresslevels verbunden. Die erhöhten psychischen und körperlichen Belastungen führen bei einer ganzen Reihe von Betroffenen z.B. zu sozialem Rückzug, Isolation oder auch zum dauerhaften Ablegen des Sprachprozessors.

Auch bleiben z.B. CI-versorgte Personen dauerhaft auf Batterien mit häufigerem Wechseln angewiesen, müssen darauf achten, die externen Teile z.B. vor Wasser zu schützen und dürfen sich bestimmten Untersuchungen, z.B. MRT nicht unterziehen.

Auch wenn es viele CI-Betroffene gibt, die vom CI mehr oder weniger gut profitieren, so bleiben sehr oft als Beispiele die o.b. Einschränkungen bestehen und zeigen, dass in keinem Fall von einem Hören, wie Hörende es gewohnt sind und wie sie dieses verstehen, ausgegangen werden kann.

Typischerweise kristallisieren sich erst mit der Entwicklung der eigenständigen Persönlichkeit Beurteilungs- und Entscheidungsfähigkeiten heraus, die sich auch auf das Leben, die Zufriedenheiten, aber auch Einschränkungen mit einem CI beziehen. So kann dies z.B. auch die Erkenntnis weiterbestehender kommunikativer Einschränkungen betreffen, die zusätzlicher kommunikativer Unterstützung bedürfen.

Dies sollte auch bei Kindern besonders bedacht werden, da man als Eltern und Verantwortliche diesen ja eigentlich so viel wie möglich für ein gutes Leben mitgeben möchte. In der Konsequenz kann dies durchaus auch bedeuten, von einer Implantation abzusehen oder das Kind im Falle einer Implantation zumindest bilingual, also einschließlich der Gebärdensprache, zu fördern und zu erziehen. Dabei können sowohl die gehörlosen wie auch die hörenden Eltern ihr gehörloses Kind von jeder Seite fördern: die gehörlosen Eltern durch die natürliche gebärdensprachliche Sozialisation unter Einbeziehung der hörenden Welt und Lautsprache, sowie hörende Eltern durch zusätzlich gemeinsame, bilinguale Kommunikation mit der Gebärdensprache.

Ergänzend dazu folgendes Zitat aus dem Artikel von Dr. Anika Geisler:

Der Leipziger Juraprofessor Drygala und seine Mitautorin kommen zu drei Schlüssen: Erstens: Eltern gehörloser Kinder teilweise das Sorgerecht zu entziehen, um eine CI-Versorgung zwangsdurchzusetzen, ist unzulässig. Zweitens: Die Entscheidung der Eltern gegen die Operation ist vertretbar. Ein staatliches „Optimierungsgebot“ in Bezug auf behinderte Kinder besteht nicht. Drittens: Ein behindertes Kind darf nicht zum Zweck einer CI-Versorgung von seinen Eltern getrennt werden. Ein „Zwang zu hören“ sei nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar.

Unserer Lebenserfahrung als erwachsene Gehörlose entsprechend stimmen wir mit den Aussagen des Juraprofessors Dryala und seiner Mitautorin voll überein.

Neben der rein gebärdensprachlichen Alternative zur CI-Operation ist die Versorgung mit guten Hörgeräten und der Einsatz von Gebärdensprache eine weitere Option. Hier müssen Kinder nicht einer z.T. risikobehafteten Operation mit unsicheren Erfolgsaussichten unterzogen werden. Wenn das hörbehinderte Kind zweisprachig mit Gebärdensprache und Lautsprache aufwächst, ist am ehesten eine vergleichbar umfassende Kommunikation, wie Hörende diese von der Lautsprache her kennen, gegeben. Schulversuche haben bewiesen, dass bilingual erzogene gehörlose Kinder eine annähernd gleiche Lesekompetenz und ein annähernd gleiches Textverständnis erreichen können, wie gleichaltrige hörende Kinder. Die bilingual erzogenen Kinder zeigten zudem ein besseres Lautsprachvermögen als rein lautsprachlich geförderte gehörlose Kinder.

Wir, der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V., empfehlen auf dem Hintergrund des Gesagten und unserer Lebenserfahrung eine bilinguale Erziehung mit Gebärdensprache, da dieser Weg risikofrei und langfristig erfolgversprechend für hörbehinderte Kinder ist. Bei der bilingualen Methode ist keine Gefährdung des Kindeswohls zu erkennen.

Wir würden es sehr begrüßen, wenn gerichtlicherseits der Elternwille, in diesem Fall die Ablehnung einer CI-Operation, gestärkt wird. Wünschenswert ist in dem Zusammenhang, wenn die Gerichte, u.a. das Amtsgericht Goslar, aufgrund der zahlreichen Bemühungen um Aufklärung durch die selbst betroffene Gehörlosengemeinschaft erkennen, dass der Zwang zu einer CI-Operation die falsche Entscheidung ist, und zugunsten der gehörlosen Eltern urteilen.

Schließlich ist es für uns allen Betroffenen, ob mit oder ohne CI, ganz vordringlich, dass somit kein Präzedenzfall gerichtlicherweise geschaffen wird und der soziale Frieden und der Zusammenhalt in der Gesellschaft gewahrt bleiben.

Die Pressemitteilung 01/2018 in pdf-Datei können Sie herunterladen und gerne weiterleiten.

Literaturquellen:

EUD-Positionspapier zum Cochlea-Implantat (Mai 2013)

WFD-Positionspapier zu den Sprachrechten gehörloser Kinder (7. September 2016)

WFD-Pressemitteilung über die Resolution der Weltgesundheitsversammlung zur Vorbeugung von Taubheit und Hörverlust (7. Juni 2017)

Stellungnahme von TuT-Initiative e.V. zum Thema „CI-Zwang?!“ (16.11.2017)

Stellungnahme der DCIG „Eine CI-Implantation ohne Zustimmung der Eltern ist strikt abzulehnen!“ (17.11.2017)

Stellungnahme des Bundeselternverbandes gehörloser Kinder e.V. „Anzeige durch Prof. Dr. med. Andreas Gerstner beim Jugendamt Braunschweig wegen Verweigerung der Einwilligung zur Implantation eines CI“ (18.11.2017)

Stellungnahme von Prof. Dr. Christian Rathmann „Entscheidungsprocedere zur CI-Operation eines Kindes mit Hörbehinderung“ (19.11.2017)

Karin Kestner: Bericht über die Anhörung vor dem Goslarer Amtsgericht. (20.11.2017)

Stellungnahme von Dipl.-Psychologe Dr. Oliver Rien (20.11.2017)

Stellungnahme von Uwe v. Stosch (GIB ZEIT e.V.) zu zwei Fernsehbeiträgen zur Anhörung beim Amtsgericht in Goslar am 20.11.2017 zur Frage des angedrohten „Zwangs zum Implantat“ (21.11.2017)

Deutschlandfunk Kultur: Eltern verweigern Cochlea-Implantat. „Keine Gefahr des Kindeswohls“ ohne Hörprothese. Interview mit Prof. Dr. Christian Rathmann. (23.11.2017)

Karin Kestner: Warum sich Eltern gegen ein Cochlea-Implantat entscheiden. Und sie auch nicht dazu gezwungen werden können. (27.11.2017)

Christian Heinrich (Spiegel Online): Zwangsimplantation. Darf man ein gehörloses Kind gegen den Willen der Eltern operieren? (29.11.2017)

Focus Online: Grotesker Rechtsstreit: Ein Richter soll entscheiden, ob ein Kind hören darf oder nicht. (03.12.2017)

Jost Müller-Neuhof (Der Tagesspiegel): Ärztliche Eingriffe: Was dem Kindeswohl dient, sollten die Eltern bestimmen. (04.12.2017)

Stellungnahme von Uwe v. Stosch (GIB ZEIT e.V.) zum Spiegelartikel „Zwangsimplantation – darf man ein gehörloses Kind gegen den Willen der Eltern operieren?“ (05.12.2017)

Karin Kestner: Kein Cochlear Implantat für zwei gehörlose Kinder. Sozialamt Landkreis Trier-Saarburg übergibt Fall an Jugendamt. (12.12.2017)

Katrin Werner (DIE LINKE): Autonomie von Eltern gehörloser Kinder schützen (13.12.2017)

Stellungnahme des Landeselternverbandes gehörloser und schwerhöriger Kinder und Jugendlicher Nordrhein-Westfallen e.V. zur CI-Implantierung (19.12.2017)

Uwe Schummer (CDU): Selbstbestimmungsrecht der Eltern stärken. (19.12.2017)

Manuel Löffelholz (BILING e.V.): "Die sprachliche Deprivation tauber Kinder" bedeutet eine Kindeswohlgefährdung – nicht die Erziehung in DGS! (20.12.2017)

Sehen statt Hören: Kein Cochlea Implantat als Kindeswohlgefährdung? (23.12.2017)

Christian Beneker (Ärzte Zeitung online): Cochlea-Implantat. Eltern gegen Operation des gehörlosen Kindes. (10.01.2018)

Rebecca Such und Johanna Touoda (Der Albrecht): Kann zum Hören gezwungen werden? Ein Gerichtsprozess erschüttert die Gehörlosengemeinschaft. (13.01.2018)

Tim Drygala / Mareike Kenzler: Teilentzug des elterlichen Sorgerechts zur Ermöglichung einer Cochlea-Implantation gegen den Willen der Eltern. erschienen in der Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) 3/2018 (15.01.2018)

Dr. Anika Geisler (Stern Nr. 4): Hören oder Nichthören. Mario ist zwei Jahre alt und taub. Aber muss er deshalb eine Hörprothese bekommen? Eine Klinik ist dafür, Marios Eltern, ebenfalls taub, sind dagegen. Der Fall landet vor Gericht – und wirft grundsätzliche Fragen auf. Seite 62-65 (18.01.2018)

Karin Kestner: CI-Zwang – ein Zwischenbericht. Was seit der ersten gerichtlichen Anhörung in Goslar passiert ist. (18.01.2018)

Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen): Elternrechte stärken – Zwangsimplantation verhindern (19.01.2018)

Wille Felix Zante: „Beschämend für ein Sozialamt“. erschienen in Deutsche Gehörlosenzeitung 1/2018, Seite 21. (20.01.2018)


Elternrechte stärken – Zwangsimplantation verhindern

20. Januar 2018

Können gehörlose Eltern gezwungen werden, dass ihrem ebenfalls gehörlosen Kind eine Hörprothese eingesetzt wird? Das wird derzeit vor dem Familiengericht Goslar verhandelt – und könnte ein Präzedenzfall werden. Die behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Corinna Rüffer hat die Bundesregierung deshalb gefragt, wie man verhindern kann, dass es künftig mit Verweis auf das Kindeswohl vermehrt zu Zwangsimplantationen kommt.

Bei dem Fall, der in Goslar verhandelt wird, hatte der HNO-Arzt einer Braunschweiger Klinik das Jugendamt eingeschaltet. Er sieht das Kindeswohl gefährdet, da die Eltern das Einsetzen der Hörprothese (Cochlea Implantat, CI) ablehnen. Inzwischen beruft sich auch ein Sozialamt im Kreis Trier-Saarburg auf diesen Rechtsstreit und hat bei einem ähnlichen Fall ebenfalls das Jugendamt eingeschaltet.

Fast alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Gerade wenn gehörlose Eltern eine Implantation für ihr ebenfalls gehörloses Kind ablehnen, sollte man annehmen, dass sie sehr gut einschätzen können, welche Chancen und Nachteile ihr Kind haben wird, wenn es nur gebärdensprachlich kommuniziert. Sie erfahren das schließlich täglich selber. Trotzdem scheinen Eltern, die eine Implantation ablehnen, verstärkt in den Fokus der Jugendämter zu geraten. Der Vorwurf: Kindeswohlgefährdung.

Vor diesem Hintergrund hat Corinna Rüffer die Bundesregierung gefragt, ob gewährleistet ist, dass sich Familien mit hörbeeinträchtigten und gehörlosen Kinder eigenständig und ohne Zwang für oder gegen eine Implantation entscheiden können. Die Bundesregierung betont in ihrer Antwort den hohen Stellenwert der im Grundgesetz verankerten Elternrechte (Art. 6, Abs. 2 GG). Nur wenn die Eltern sich weigerten, eine Gefahr abzuwenden, die mit großer Sicherheit das Kind schädigen würde, spreche man von Kindeswohlgefährdung (§ 1666 BGB). An der Rechtslage müsse nichts geändert werden. Eine Bewertung im Kontext der UN-Behindertenrechtskonvention bleibt allerdings aus.

Ist das Wohl des Kindes gefährdet, wenn es ohne Implantate bei Eltern aufwächst, die gebärdensprachlich kommunizieren? Droht ihm unmittelbare Gefahr? Diese Fragen dürfte kaum mit „ja“ beantwortet werden, sonst dürften sich Eltern nie gegen eine CI-Versorgung aussprechen. Wo herrschen schließlich bessere Bedingungen für ein gehörloses Kind als in einer Familie, in der gebärdensprachlich kommuniziert wird? Zudem sind sich zahlreiche Verbände (u. a. Deutscher Gehörlosen-Bund, Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft) einig: Eine CI-Implantation gegen den Willen der Eltern ist abzulehnen. Nun ist die Frage, ob das Gericht zur gleichen Einschätzung kommen wird.

Leider gibt die Bundesregierung keine Antwort darauf, wie Eltern in der Wahrung ihrer Rechte gestärkt werden können, so dass sie gar nicht in die Situation geraten, vor Gericht zu landen. Es sei Sache der unabhängigen Gerichte darüber zu entscheiden, ob im Einzelfall eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Das ist grundsätzlich richtig, die Frage in der Sache aber eine andere: Wie können wir verhindern, dass es zu Zwangsimplantationen von CIs kommt?

Hintergrund:
Ein Cochlea Implantat (CI) ist eine elektronische Hörprothese. Es besteht aus zwei Bauteilen: Einem Sprachprozessor mit Sendespule, der hinter dem Ohr getragen wird, und dem Implantat, das im Schädelknochen nahe der Ohrmuschel unter der Haut platziert wird und bis in die Hörschnecke des Innenohres reicht. Ein CI ist allerdings keine Garantie dafür, dass man hören kann. Das hängt davon ab, ob Hörnerv, Hörbahn und Hörzentrum im Gehirn funktionsfähig sind. Unter Umständen hört man also auch mit CI weiterhin gar nichts oder kann nur Geräusche wahrnehmen. Nur ein Teil derjenigen, die ein CI haben, versteht tatsächlich Gesprochenes.

Internetquelle von Corinna Rüffer

Antwort der Bundesregierung auf meine mündliche Frage zum Cochlea Implantat

Video der Fragestunde


DGB-Film 16/2017 vom 25.11.2017 - Kommentar von Helmut Vogel, Präsident des Deutschen Gehörlosen-Bundes, in Gebärdensprache über aktuelle Situation bezüglich des CI

25. November 2017

Der Begleittext in Deutscher Sprache zum Film wird noch bearbeitet und zeitnah fertig sein. Leider ist es nicht möglich mit der Untertitelung des Films. Die Lichtverhältnisse im Film sind leider nicht optimal. Wir bitten um Verständnis!

Kurzversion zum Film:
Der zehnminütige Film hat drei Themen. Zuerst wird der Fall in Südniedersachsen beschrieben: Gehörlose Eltern - HNO-Arzt - Jugendamt - Familiengericht. Das ist im neuen Artikel von der Deutschen Gehörlosen-Zeitung ausführlich beschrieben worden. Es ist sehr ernst! Der DGB wird mit Ihnen darauf achten, wie dier Fall sich entwickeln wird.

Als nächstes wird aus der Stellungnahme des DGB vom 17. November in Auszügen gebärdet. Folgenden Sätze werden aus der Stellungnahme entnommen: Der DGB verfolgt mit großer Sorge die derzeitige Auseinandersetzung um die Cochlea Implantation eines gehörlosen Kleinkindes gegen den Willen der gehörlosen Eltern, in Südniedersachsen. Dabei betrachtet der Deutsche Gehörlosen-Bund die Bemühungen, eine Entscheidung zur Operation des Kindes gegen den ausdrücklichen Willen der Eltern durchzusetzen, als inakzeptabel. Ausgangspunkt ist hierbei eine medizinisch-technische Methode, die Cochlea Implantation (CI), die fachlich gesehen einen Wahleingriff und keine lebensnotwendige Maßnahme darstellt. Sie ist medizinisch-psychologisch nicht unumstritten und weist ebenso erhebliche körperliche und psychische Nebenwirkungen auf. Durch die bimodale bilinguale Sprachkompetenz, einschließlich der deutschen Laut-/Schriftsprache und der Deutschen Gebärdensprache, kann ein kommunikativ, kognitiv, sozial und emotional gleichwertiges Leben ermöglicht werden. Im Zusammenhang mit dem aktuellen Fall ist es vielen gehörlosen und hörbehinderten Menschen nicht zu verdenken, wenn sie sich an längst überwunden geglaubte behindertenfeindliche Tendenzen erinnert fühlen. Der Deutsche Gehörlosen Bund e.V. wird dieses Verfahren weiterhin kritisch verfolgen.

Schließlich wird beschrieben, wie der DGB weiter vorgehen wird. Der DGB wird die Fachtagung "Gesundheit" im nächsten Jahr organisieren und das Thema "CI-Zwang" miteinbeziehen. Mit den Landesverbänden der Gehörlosen werden die Erfahrungen mit den HNO-Ärzten, CI-Kliniken usw. in den Bundesländern demnächst ausgestauscht. Verschiedene Vereine und Aktionsgruppen setzen sich ebenso auch ein. Ebenso wird der DGB die politische Arbeit zu diesem Thema demnächst verfolgen. Der Zusammenhalt innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft mit den gebärdensprachlich orientierten CI-Trägern, abseits vom aktuellen Fall, ist weiterhin wichtig. Der DGB setzt sich für Inklusion ein, d.h. Respekt und Toleranz gegenüber der Bilingualität. Dafür kann der DGB nicht alleine arbeiten und wir alle brauchen gemeinsam weiter zu engagieren!


Eltern verweigern Cochlea-Implantat - "Keine Gefahr des Kindeswohls" ohne Hörprothese

24. November 2017

Quelle: http://www.deutschlandfunkkultur.de/eltern-verweigern-cochlea-implantat-keine-gefahr-des.1008.de.html?dram:article_id=401436

Interview mit Prof. Dr. Christian Rathmann | Beitrag vom 23.11.2017

Dürfen Ärzte einem gehörlosen Kind gegen den Eltern-Willen ein Cochlea-Implantat, eine Hörprothese, einsetzen? Das muss das Amtsgericht Goslar entscheiden. Für den gehörlosen Linguistik-Professor Christian Rathmann agieren die Ärzte im Widerspruch zur entsprechenden UN-Konvention.

Nicole Dittmer: Wer gehörlos ist, dem kann unter Umständen eine Hörprothese das Gehör zurückgeben: ein Cochlea-Implantat. Wenn der Hörnerv nicht kaputt ist, dann kann so ein Implantat helfen. Vor dem Amtsgericht in Goslar wird aber jetzt ein Fall verhandelt, bei dem Eltern nicht wollen, dass ihr eineinhalbjähriges Kind so ein Implantat bekommt.

Julius Stucke: Da könnte man auf den Gedanken kommen: Wieso eigentlich? Wie kann man das nicht wollen? Ist das nicht einfach ein Vorteil? Aber es ist eben nicht so einfach. Das hat jetzt in diesem konkreten Fall einen speziellen Grund, und es gibt aber auch ein allgemeineres Bedenken unter manchen Gehörlosen gegenüber dieser Technik.
Erklären kann uns das Christian Rathmann, Professor für Gebärdensprachdolmetschen am Institut für Rehabilitationswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist selber gehörlos und daher mit der Dolmetscherin Oya Ataman hier ins Studio 9 gekommen. Schönen guten Abend!

Christian Rathmann: Guten Abend!

Stucke: Herr Rathmann, lassen Sie uns mal bei diesem konkreten Fall erst einmal bleiben. Ein HNO-Arzt sieht hier das Wohl des Kindes gefährdet. Die Familie aber, die sagt, wir sind alle, Vater, Mutter, zwei Kinder, gehörlos. Warum sollte nun ein Kind der Familie so ein Implantat bekommen?!  Mal jenseits von wissenschaftlichen Überlegungen zur Technik, wie sehen Sie diesen Fall?

Rathmann: Ich bin Wissenschaftler, ich vereine beide Perspektiven. Ich sehe überhaupt keine Gefahr des Kindeswohls vorliegen. Der Grund dafür ist, dass beide gehörlosen Eltern Gebärdensprache können.
Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache mit vollständiger Grammatik und alles, was zu einer Sprache dazugehört. Und es ist eine optimale Voraussetzung für kognitive, psychische und psychosoziale Entwicklung des Kindes. Daher sehe ich überhaupt keine Gefährdung des Kindeswohls vorliegen.

Stucke: Sie haben dazu ja auch eine Stellungnahme geschrieben und sich da aber auch wissenschaftlich noch der Frage gewidmet, wie das eben mit der Sprachentwicklung ist. Wenn man mal einen Fall konstruieren würde, wo es anders wäre, wo die Familie eben nicht aus vier gehörlosen Menschen besteht, sondern vielleicht eben halbe-halbe verteilt ist. Würde da Ihr Urteil anders ausfallen oder wäre Ihr Urteil da das selbe?

Rathmann: Wichtig in dem Fall ist die Motivation der Eltern. Ob das Implantat selbst gut oder schlecht ist, das ist hier nicht das Thema. Das Thema ist hier, wie die Kommunikation innerhalb der Familie abläuft, wie emotionale Bindungen aufgebaut sind, das ist entscheidend.
Wenn alle die Motivation haben zur Implantation, zum Umgang mit allem, was diese Implantation mit sich bringt, dann ist es auch in Ordnung. Die Perspektive nur auf ein Detail, nämlich rein auf das Implantat, das ist nicht genug. Man braucht einen holistischen Ansatz.
Wenn man Zeit investiert für die ganze Rehabilitationsmaßnahme, dann kann man auch Zeit investieren für Gebärdenspracherwerb. Und es gibt viele, viele Möglichkeiten, den Spracherwerb, den Erstspracherwerb dieses Kindes oder dieser Eltern in verschiedenen Familien zu gestalten.
Letztendlich, welchen Weg für den Erwerb die Eltern aussuchen, das ist dann das Entscheidende.

Dittmer: Jetzt wird über diese Implantate aber eben nicht nur an dem aktuellen Fall diskutiert, sondern es gibt – wie erwähnt – unter Gehörlosen grundsätzliche Skepsis gegenüber der Technik, gegenüber einer solchen Hörprothese.

Rathmann: Nein, das kann ich wirklich nicht bestätigen.

Dittmer: Aber es wird doch diskutiert oder nicht?

Rathmann: Ja genau. Es wird diskutiert, heiß diskutiert. Aber der springende Punkt ist nicht, ob jetzt das Individuum ein CI [Anmerkung: Cochlea-Implantat] bekommt oder nicht. Der springende Punkt ist, dass ein Arzt ohne Hintergrundwissen über Gebärdensprache oder darüber, was Gehörlosigkeit bedeutet, aus dieser Perspektive urteilen kann.
Es ist eine einseitige Perspektive und eine Lösung, ein Patentrezept. Und das ist der Grund für diese große Aufregung.

Dittmer: Abseits von diesem aktuellen Fall: Würden Sie sagen, es gibt andere Fälle, wo so ein Hörimplantat nicht ratsam ist?

Rathmann: Überhaupt nicht. Es kommt darauf an, welche Motivation zu welcher Sprache vorhanden ist innerhalb der Familie. Dann ist ein Cochlea-Implantat oder eben kein Cochlea-Implantat in Ordnung.

Stucke: Und ist das ein mögliches Szenario, was wir zumindest vorhin in der Diskussion in der Redaktion mitbekommen haben, eine gewisse Angst da, dass eben all die Kultur, die Kultur des Dolmetschens, die Kultur der Gebärdensprache, dass all das gefährdet wird durch solche Technik? Also ist das so eine Angst, die vorherrscht?

Rathmann: Nein, nein, nein. Das ist keine Angst vor der Technik. Das ist eine Einstellungssache in der Gesellschaft. Wenn bestimmte HNO-Ärzte widersprüchlich zur UN-Konvention für Menschen mit Behinderung agieren. Wir haben da einen Artikel zwei, der klar die Nutzung von Gebärdensprache befürwortet.
Aber abgesehen davon, auch im deutschen Recht haben wir ein Recht zur Gebärdensprache. Auch wissenschaftlich ist anerkannt, dass die Gebärdensprache eine eigenständige Sprache ist. Und diese muss man respektieren. Und dadurch, dass der Respekt hier nicht vorhanden ist, bedeutet das im Endeffekt Diskriminierung durch die Mediziner, durch das Jugendamt, durch die Behörden. Und die große Angst besteht vor dieser Diskriminierung.

Dittmer: Wenn wir noch einmal auf die Technik zurückkommen. Was kann diese Technik schon – und wo stößt sie vielleicht auch an ihre Grenzen?

Rathmann: Gut, was die Technik kann – alles und nichts. Beide Perspektiven sind wichtig. Wir können nicht voraussehen, ob jetzt die Implantation bei diesem Kind vollständig erfolgreich ist oder eben überhaupt nicht.
Die medizinische Hochschule Hannover hat eine Stellungnahme abgegeben: Herr Professor Doktor Kral schreibt, dass 30 Prozent der implantierten Kinder, dass bei diesen Kindern der Spracherwerb eigentlich nicht funktioniert, obwohl sie implantiert sind.
Und bei den Zahlen, die uns vorliegen, können wir nicht sagen, das klappt, das ist gut, das müssen wir machen. Oder: Das ist nicht gut, das klappt nicht. Wir wissen es von vornherein nicht.

Stucke: Das heißt, wir stecken vielleicht viel Energie in die Untersuchung von etwas, anstatt die Zeit für andere Sachen zu sparen.

Rathmann: Das würde ich auch nicht sagen. Naja, wichtig ist, dass das Kind Liebe hat, soziale Beziehungen hat, die funktionieren, eine vollständige  Kommunikationsbasis mit den Eltern hat. Das ist der Schlüssel für die persönliche Entwicklung, für Gesundheit, geistig und psychisch.
Das hängt nicht nur einzig und allein von der zur Verfügung stehenden Technik ab, sondern von der Kommunikation mit den Eltern innerhalb der Familie. Und die kann über ein Cochlea-Implantat und über Gebärdensprache oder beides gleichzeitig stattfinden. Da hat man viele Möglichkeiten.

Gebärdendolmetscherin: Oya Ataman

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Stellungnahme 02/2017: Zur aktuellen Diskussion bezüglich des Versuchs, gegen den Willen der gehörlosen Eltern gerichtlich durchzusetzen, einem gehörlosen Kind ein Cochlea-Implantat einzusetzen

17. November 2017

Der Deutsche Gehörlosen Bund e.V., der als Dachverband der Gehörlosenverbände und deren Gehörlosenvereine die Interessen der Gebärdensprachgemeinschaft in Deutschland vertritt, verfolgt mit großer Sorge die derzeitige Auseinandersetzung um die Cochlea Implantation eines gehörlosen Kleinkindes gegen den Willen der gehörlosen Eltern, in Südniedersachsen. Dabei betrachtet der Deutsche Gehörlosen-Bund die Bemühungen, eine Entscheidung zur Operation des Kindes gegen den ausdrücklichen Willen der Eltern durchzusetzen, als inakzeptabel.

Ausgangspunkt ist hierbei eine medizinisch-technische Methode, die Cochlea Implantation (CI), die fachlich gesehen einen Wahleingriff und keine lebensnotwendige Maßnahme darstellt. Sie ist medizinisch-psychologisch nicht unumstritten und weist ebenso erhebliche körperliche und psychische Nebenwirkungen auf. Bei der Argumentation der CI-Fachleute wird ausschließlich die positive Zielsetzung, d.h. das Hören Können, in den Vordergrund gerückt. Nicht berücksichtigt werden bei dieser Argumentation die vielfältigen Nachteile und Gefahren, denen ein Teil der implantierten Personen dadurch ausgesetzt wird. Zudem wird verschwiegen, dass kein Implantierter je ein Gehör, wie Hörende dieses kennen, erhalten kann und die Betroffenen mindestens schwerhörig bleiben. Trotz intensiver Hör- und Sprachtherapie erreichen zudem viele implantierte junge Menschen keinen vollständigen Spracherwerb.

Daher ist das Angebot einer bimodalen und bilingualen Sprachentwicklung von Kindern mit einer Hörbehinderung zur Sicherstellung der ausreichenden Entwicklung ihrer sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten, gerade in der frühkindlichen Phase, von großer Bedeutung. Durch das ausschließliche Verlassen auf die Hörverbesserung durch das Cochlea-Implantat wird diese Entwicklung nicht selten gestört. Ebenso werden die Alternativen und positiven Aspekte des Lebens gehörloser Menschen außer Acht gelassen. Durch die bimodale bilinguale Sprachkompetenz, einschließlich der deutschen Laut-/Schriftsprache und der Deutschen Gebärdensprache, kann ein kommunikativ, bildungstechnisch, beruflich, sozial und emotional gleichwertiges Leben ermöglicht werden. Nicht umsonst lassen aufgrund unterschiedlichster Irritationen nicht wenige Betroffene nach einigen Jahren ihre Cochlea-Implantate wieder explantieren.

Dazu muss angemerkt werden, dass die meisten im Rahmen der Implantationen Tätigen keine oder nur sehr wenige Informationen über die Gehörlosen-/ Gebärdensprachgemeinschaft und kaum Erfahrungen mit diesen haben. Diese sehen in der Gehörlosigkeit nicht selten etwas Negatives und Auszumerzendes. Um in der Vor- und Nachsorge sowie bei der Förderung von CI-implantierten Kindern alle Aspekte berücksichtigen zu können, u.a. durch die Vermittlung positiver gehörloser Vorbilder, wurde seit Jahren wiederholt von Gehörlosenverbänden den verschiedenen CI-Zentren das Angebot einer Zusammenarbeit, z.B. in der Elternberatung, gemacht. Bislang ist es jedoch nirgendwo zu einer anhaltenden Zusammenarbeit gekommen, was der Deutsche Gehörlosen-Bund außerordentlich bedauert. Dies, wie auch viele Berichte Betroffener, zeigen auch, dass die ärztliche Aufklärung und Versorgung oftmals die Verpflichtung zur ausgewogenen und die möglichen Alternativen ausreichend berücksichtigenden Beratung vermissen lässt.

Auf dem Hintergrund dieser relativen Behandlungsmethode ist es aus unserer Sicht umso kritischer zu betrachten, dass mit juristischen Mitteln versucht wird, das hohe Gut des elterlichen Willens zu übergehen. Dabei macht besonders betroffen, dass dieses gerade bei Eltern versucht wird, die als selbst Betroffene noch besser um die Situation ihres gehörlosen Kindes wissen. Insbesondere gehörlose Eltern können ihrem gehörlosen Kind zahlreichere und bessere Lebenswerkzeuge, einschließlich der Gebärdensprache und einer voll funktionsfähigen familiären Einbeziehung und Entwicklung, vermitteln und ermöglichen. Die Abwägung von Förderungswegen für ihre Kinder, die ihre berechtigten und z.T. schwerwiegenden Vor- und Nachteile haben, kann und muss auch gehörlosen Eltern vorbehalten bleiben.

Im Zusammenhang mit dem aktuellen Fall ist es vielen gehörlosen und hörbehinderten Menschen nicht zu verdenken, wenn sie sich an längst überwunden geglaubte behindertenfeindliche Tendenzen erinnert fühlen. Daher sollte vor einer abschließenden Beurteilung, neben anderen, auch die Frage stehen, ob das Bestreben einer Implantation gegen den Elternwillen auch erfolgen würde, wenn die betroffenen Eltern hörend wären.

Der Deutsche Gehörlosen Bund e.V. wird dieses Verfahren, wie auch insgesamt die Entwicklung der Cochlea-Implantationen, vor allem im Hinblick auf die Akzeptanz und Berücksichtigung von Gehörlosigkeit und Gebärdensprache, weiterhin kritisch verfolgen.

Weitere Informationen zu den Positionen des DGB können den Stellungnahmen zur CI-Diskussion auf der Homepage des DGB entnommen werden. Auch wenn diese bereits älter sind, besitzen sie nach wie vor ihre Gültigkeit. Sie finden diese unter den untenstehenden Links (Internetquellen). Für weitere Informationen können Sie auf der Homepage des DGB unter http://www.gehoerlosen-bund.de/publikationen%20-%20projekte/bestellung, die drei Broschüren, Mein Kind (2011), Sprachen bilden (2016) und Bilingual aufwachsen 2. Auflage (2016), finden.

Die Stellungnahme 02/2017 in pdf-Datei können Sie herunterladen und gerne weiterleiten.

Internetquellen:

Stellungnahme des Deutschen Gehörlosen-Bundes e.V. zum Cochlea-Implantat (CI) (2006)

Stellungnahme des Deutschen Gehörlosen-Bundes e. V. zu den Kommentaren zum Cochlea Implantat von Sabine Fries und Thomas Geißler vom 29. Mai 2008 anlässlich des 3. Deutschen CI-Tags 2008 und den darauf erfolgten Reaktionen (18.06.2008)

Stellungnahme des Deutschen Gehörlosen-Bundes e.V. zu dem Artikel „Haben gehörlose Kleinkinder ein Recht auf ein Cochlea-Implantat?“ von S. Müller und A. Zaracko, erschienen in der Zeitschrift Nervenheilkunde Heft 4/2010, Seite 244–249 (22.06.2010)

Resolution der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten-Selbsthilfe und Fachverbände e.V., zur einseitigen Beeinflussung von Eltern hörbehinderter Kinder zum CI (13.11.2010)

Stellungnahme von Prof. Dr. Christian Rathmann zur Pressemitteilung der MHH vom 04. April 2016 „Hören und Denken sind eng verbunden: MHH-Forscher belegen Zusammenspiel von Sinnen und Kognition (04.04.2016)

Pressemitteilung des Deutschen Gehörlosen-Bundes e.V. 1/2016: Cochlea-Implantate und Gebärdensprache (08.02.2016)

Karin Kestner: Kein fiktiver Fall! Eine Richterin soll über beidseitige Implantation eines zweijährigen gehörlosen Kindes gehörloser Eltern entscheiden. (10.11.2017)

Taubenschlag: Zwangsimplantation in Braunschweig? (10.11.2017)

Deutsche Gehörlosenzeitung: Die Pforte zum CI-Zwang? (14.11.2017)

Stellungnahme des Gehörlosenverbandes Niedersachsen e.V.: Würde der tauben und schwerhörigen Menschen beachten (15.11.2017)